Der Wind und die Ahnen

Die Bewohner der Torres-Strait-Inseln kämpfen um ihr Eigentum: das Meer

 

Gott kam aus Neu-Guinea. Er war ein Wal, später ein Kanu. Als er das Ziel seiner Reise, die Insel Mer, erreichte, hatte er die Gestalt eines Oktopus. Aus seinen acht Tentakeln wuchsen die acht Klans der Insel, und seine Augen leuchteten als Gestirn, nach dem die Menschen navigieren würden.

Eine Schöpfungslegende, eine schwarz-australische.

Man muß mit den Legenden beginnen und auch mit Geographie, um die folgende Geschichte zu verstehen. Sie handelt davon, wem die See gehört. Aber die See ist für die Ureinwohner Australiens nicht einfach bewegtes Wasser. Sie ist „Seeland", ein Kosmos, in dem Land und Wasser, Mensch und Tier, Wind und Ahnen unzertrennlich sind.

Die Insel Mer liegt in der Torres Strait, das ist die Wasserstraße zwischen Neu-Guinea und Australien. Auf Seekarten ist die Insel allenfalls ein Krümel, meist „Murray Island" genannt; ein Kapitän Murray kam vorbeigesegelt, als Mer in der Sprache seiner melanesischen Bewohner schon lange Mer hieß. Ähnlich hinterließ Luis Vaéz Torres seinen Namen: Der Spanier befuhr die Strait als erster Europäer, 1606. Er sah Schwarze, „sehr corpulent, und nackt", fing ein paar von ihnen ein und fand, sie könnten sich nicht gut verständlich machen.

Das sind die weißen Legenden.

Unterwegs nach Mer, zur Insel des Oktopus. Die kleine Propellermaschine streicht durch Federwölkchen über die Strait: Unten liegen winzige Inseln wie verrutschte Spiegeleier auf den Platten der Riffe, die Ränder weiß umkräuselt von Wellenspitze. Mehr als hundert Inseln hat die Strait, nur 15 sind bewohnt, dazu ein Vielfaches an Sandbänken, Felsen, Vulkankratern, Korallenriffen. So schön, so heimtückisch sieht eine See aus, wenn sie einst Land war. Neu-Guinea und Australien hafteten hier zusammen als ein Kontinent - und da unten, über die Landbrücke, wanderten die Aborigines, als sie Australien besiedelten vor 50 000 Jahren.

Später suchte sich ein steigender Meeresspiegel Bahn, weitete die Strait am Ende zu 150 Kilometern Breite. Doch das dauerte Jahrtausende - und die jahrtausendelange Beobachtung, wie Land zu See wurde, prägte die Mythologie der nordaustralischen Ureinwohner.

Landeanflug, ein Grasstreifen in Sicht. Mer liegt als grüner Kegel in türkisfarbener See. Ein Hügel vulkanischer Erde, nicht einmal drei Kilometer lang, mit 550 Menschen - und dieser Hügel hat Geschichte gemacht! Ein Sohn der Insel, Edward Koiki Mabo, erstritt vor dem Obersten Gericht einen Sieg für ganz Schwarz-Australien: Ihm wurden die traditionellen Rechte an seinem Land zugesprochen - Mer gehört den Leuten von Mer! Die Lebenslüge der weißen Siedler, Australien sei bei ihrer Ankunft Terra Nullis gewesen, ein menschenleerer Erdteil, war endlich zerstört. Elf Jahre ist das her. Bis hinunter nach Tasmanien tragen seitdem Aborigines ihre Ansprüche vor Gericht.

Über den kleinen Platz vor dem Gemeindehaus der Insel weht Bob Marley aus dem Recorder.  Mer empfängt mit einer Mischung aus Black-Power- Stolz und Südsee-Phlegma. Junge Männer mit Spiegelglas-Brillen flechten ohne Eile am Palmdach für eine Bühne;  bald ist wieder Mabo-Day, der Jahrestag des Urteils ist offizieller Feiertag in der Torres Strait. Zehn Jahre kämpfte der Mann sich durch die Gerichte, ein paar Monate vor dem Sieg holte ihn der Krebs. Zwischen Bananenstauden und knarrenden Palmen ein einsames Heldengrab, mit Marmorstein und Kette. Es nimmt fast die Hälfte von Mabos Grundbesitz ein  - dieses lächerlich kleine Zipfelchen Gartenland auf einer abgelegenen Insel veränderte den Blick Australiens auf sich selbst.

Als Melanesier sind die „Torres Strait Islander" mit den Aborigines ethnisch nicht verwandt, zählen gleichwohl zu den Ureinwohnern. Sie kamen später, besiedelten die Inseln vor etwa 5000 Jahren. Lange wurden sie unterdrückt und verachtet wie die Festland-Aborigines, bekamen mit ihnen erst 1967 Bürgerrechte.

Eddie Mabo war das rebellische Produkt dieser Verhältnisse, ein schwarzer Aktivist, dem Klan-Establishment auf seiner Insel lange zu radikal. Suche nach Arbeit trieb ihn aufs Festland, er verlegte Eisenbahnschienen, wurde Gewerkschafter, gründete eine Black-Community-School. Auch begraben war er zunächst auf dem Festland; Rassisten beschmierten den Stein mit Hakenkreuzen, Mabo wurde umgebettet, auf Mer in Sicherheit gebracht. Die Luftwaffe half beim Transport; Weiß-Australien zeigte ein schlechtes Gewissen.

Die Möwen schreien; vom Grab sieht man das Meer, Mabos Seeland. Er wollte es einbeziehen in seine Klage um Landrechte, denn die Bewohner von Mer sind seit jeher überzeugt, dass sie nicht nur Besitzer ihrer Insel, sondern auch der umliegenden Gewässer sind. Gedira gur - „die See, die zum Land gehört", heißt es in Miriam, der Sprache von Mer. Wenn man sich die Insel als den Körper des Oktopus vorstellt, dann gehört jedem der acht Klans ein Tentakel im Meer: die seewärtige Verlängerung seines Anteils Boden. Die Riffe in dieser Meereszone sind oft benannt nach dem Klan oder nach Episoden und Mythen aus seiner Geschichte. Mabos weiße Anwälte winkten damals ab: Der Prozess war ohne solch ominösen Dinge wie „Heimatriffe" schon schwierig genug. Mabos Ausruf: „Was immer in diesem Meer ist, es gehört meinen Leuten!" wurde zur Überschrift des nächsten Kapitels.

Ali Nono, 39, ist ein Mann von Bärengestalt, mit langen Rasta-Locken. Morgens um 6 Uhr 30 stieg er mit einem Freund in sein Dinghy, sein Aluminiumkanu; zehn Meilen südlich von Mer kam es zur Konfrontation, die Nono gesucht hatte: „Ein weißer Typ, ein Outsider, mit einem Boot voller Korallenforellen in unserem Seeland!"  Bewaffnet mit seinem Speer, den er sonst beim Tauchen nach Langusten benutzt, verlangte Nono die Herausgabe des gesamten Fangs - 100 Kilo schönster roter Forellen, etwa 600 australische Dollar wert. Der Speer und Nonos furchteinflössende Statur entschieden das einsame Showdown in der Korallensee.

Natürlich war das Piraterie, ein bewaffneter Überfall. Ali Nono wurde verhaftet - und errang vor Gericht einen ebenso unerwarteten wie triumphalen Freispruch. Er habe sich in gutem Glauben befunden, der Fisch gehöre seinen Leuten, urteilte der Richter. Das war vor zwei Jahren. Ali Nono ist seitdem eine Kultfigur auf den Inseln der Torres Strait. Und manche weißen Fischer haben angeblich Schußwaffen an Bord.

Vielleicht überleben kleine Völkchen auf kleinen Inseln die  Jahrtausende nur, wenn sie rigiden Regeln folgen. Auf Mer ist das Besitzdenken strikt bis zur Obsession. Der Oktopus-Gott brachte ein Moralgesetz, von dessen 26 Geboten die ersten lauten: „Nimm nur, was Dir gehört. Geh` nicht über Land, das Dir nicht gehört." Gleiches gilt für`s Seeland. Widerrechtliches Fischen wurde früher geahndet mit schwarzer Magie, todbringender Zauberei. Wenn Bewohner anderer Inseln heute in den Gewässern von Mer fischen wollen, müssen sie um Erlaubnis fragen und den Fang später an die Gemeinde verkaufen.

Inspiriert von Ali Nonos Draufgängertum wollten nun etliche Insel-Gemeinden und Klans ihr angestammtes See-Eigentum vor Gericht bestätigen lassen. Zeitweise gab es 36 parallele Klagen, mit sich überschneidenden Gebietsforderungen. Mittlerweile hat die Regionalregierung der 8089 Torres-Strait-Bewohner stellvertretend eine Sammelklage erhoben: Sie reklamiert für 42 000 Quadratkilometer, das ist fast die ganze Strait, den Besitz von „Gewässern, Riffen, Fischen, Seebett und Untergrund". Ein solcher Katalog exklusiver Rechte am Meer ist wohl noch nie aufgestellt worden: Er reicht von der Ausbeutung jeglicher Ressourcen über die Produktion von Energie aus Wind und Gezeiten bis zum geistigen Eigentum an Mythologien und Zeremonien.

Schwarze indigene Fischer von den Inseln gegen weiße Fischer vom Festland, kleine Boote gegen große Boote, traditionelle gegen gewerbliche Fischerei - der Kampf um die See und ihre Ressourcen hat wirtschaftliche, politische und kulturelle Ursachen. Die Torres Strait ist reich an Fisch, aber die Einheimischen profitieren davon kaum. 90 Prozent der Einkünfte aus Langusten, Korallenforellen oder  Makrelen gehen auf´s nordaustralische Festland. In den tieferen Gewässern der Strait parken 27 Freezer-Schiffe; nur eines gehört Einheimischen. 200 Boote stark ist die Flotte der Garnelen-Trawler - daran sind die Inselbewohner gar nicht beteiligt. Das Garnelen-Geschäft bringt 20 Millionen australische Dollar im Jahr. Eine ähnliche Summe, nämlich 25 Millionen, zahlt der Staat den Inselbewohnern an Sozialhilfe. Wie absurd - mitten im Meer lebt die Mehrheit einer traditionellen Fischergesellschaft von Wohlfahrt.

Trügerisch die Idylle: Wie ehedem stehen die Frauen mit Fischleinen am Strand von Mer, im Kraushaar brandroter Hibiskus, die weiten geblümten Kleider bauschen sich im Wind. Kinder schuppen mit sandigen Finger den Fang, die Fische zappeln noch in ihren Händchen. Doch längst ist die alte Ordnung aus den Fugen geraten, die Männer haben ihre Rolle verloren, häusliche Gewalt und Trunksucht erzählen davon.

Wie indigene Völker anderswo auf der Welt fanden die Melanesier der Torres Strait nach dem Untergang ihrer Subsistenzkultur keine wirtschaftliche Balance mehr. Ihr alte Lebensweise, so gemächlich wie genügsam, fand ein plötzliches Ende, als die weiße Siedlerkolonie Queensland 1879 die Inseln der Schwarzen annektierte und ihnen die Herrschaft des Geldes aufzwang. Schwarze billige Arbeit war gefragt, denn gerade war der kommerzielle Wert der Perlmuscheln entdeckt worden - Perlmutt für die Hemdenknöpfe der westlichen Welt. Annexion, Missionierung und die boomende Perlindustrie änderten das Leben auf den Inseln radikal.

Januar 1936: Als der sogenannte „Beschützer", der weiße Regierungs-Aufseher für die Inseln, wieder Taucher rekrutieren will, bestreiken die Männer auf allen Inseln die Boote. Es ist das erste kollektive Aufbegehren gegen die Europäer. Vorher in Klans und Stämme zerrissen gewinnen die „Torres-Strait-Islander" nun ihren Namen, haben Stimme, werden fortan ein wenig besser behandelt als die Festland-Aborigines. Auf den meisten Inseln währte der Streik Monate, auf Mer dauerte er neun Jahre. Der Widerwille gegen kapitalistische Effizienz, gegen Arbeit für Geld statt für Klan-Interessen, war hier besonders groß.

Um 1960 brach die Perlindustrie zusammen: Der Plastikknopf verdrängte Perlmutt. Vorher erlebten die Torres-Strait-Bewohner noch hautnah, was erschöpfte Ressourcen bedeuten. Eine Crew mußte am Ende einen ganzen Tag lang für jene Menge Muscheln tauchen, die früher ein Mann in einer halben Stunde sammelte. -

Kila Odo, 63, der erfahrenste Fischer von Mer, fährt mit dem Finger über eine Satellitenkarte der Strait. „Überall hier tragen die Riffe unsere Namen", sagt er und streicht über ein Gebiet von 15 000 Quadratkilometern. „Das sind unsere traditionellen Jagdgründe. Sie gehören uns, aber gegenwärtig reklamieren wir sie nicht als Besitz." Etwa ein Fünftel der Jagdgründe ihrer Väter haben die Inselbewohner als ihre aktuelle „Wirtschaftszone" definiert: Dort fischen sie am häufigsten, dort sind ihre Mythen am dichtesten angesiedelt. „Aus dieser Zone werden wir alle Fremden ´rauswerfen", sagt der Fischer.

Die See ist zu rauh heute um hinauszufahren mit den kleinen Dinghies; jetzt ist Juni, so wird es bis September bleiben, der Südostmonsun bläst mit bis zu 60 Knoten. Die Tage und Monate stürmischer See schützen den Fischbestand, so wurde es immer gehalten. Fischen bis zum Umfallen war ohnehin nie eine Tugend auf Mer. Aber nun liegen die größeren Boote der Fremden draußen auf der Leeseite der Riffe, trotzen dem Wetter. „Vor zehn Jahren konnte ich an einem Tag 100 Kilo Korallenforelle fangen", erinnert sich Odo.  „Dafür brauche ich heute drei bis vier Tage. Wenn wir tagein, tagaus fischen würden, schneiden wir uns in eigene Fleisch. Wir wollen keine größeren Boote. Und wenn wir die Seerechte haben, werden wir für niemanden von außerhalb Fanglizenzen ausstellen."

Etwa 30 Seemeilen westlich von Mer liegt Yorke, eine flache Sandinsel, kaum 800 Meter breit, 300 Leute. Nach Sonnenuntergang reihen sich am Horizont Lichtpunkte wie auf einer Kette: Die Garnelen-Trawler. Bis zu 50 sind manchmal hier. Nacht für nacht schleppen sie ihre Netze über den Meeresboden, das Wasser verschlammt, Korallen ersticken.

„Unsere europäischen Brüder" , sagt der Priester Napoleon Warria gedehnt und genießt einen Moment seine Ironie, „unsere weißen Brüder fischen alles weg. Die fischen sogar die Haie weg." Er lacht mit altersnassen Augen; Warria ist 71, einer der gewählten Sprecher für die Sammelklage aller Inseln. Die Torres Strait den Ureinwohner zu überlassen, erscheint aus ökologischer Sicht sinnvoll, denn der gesamte Fischfang müßte reduziert werden, um den Bestand zu sichern. Doch die Berufsfischer vom Festland drängen jetzt sogar vermehrt in die Strait: Denn das Great Barrier Reef  nahebei wird nun endlich besser geschützt, in vielen Zonen wird dort das gewerbliche Fischen ganz verboten. -

Wie bemißt sich die Grenze eines Seelands? Zum Beispiel so: Wieweit ein Mensch sehen kann, wenn er auf seiner Insel an einem klaren Tag auf einen hohen Baum steigt. Um zu widersprechen, verfaßten Australiens oberste Richter ein Urteil mit 547 Fußnoten. Kulturen prallten aufeinander im Streitfall Croker Islands. Die Aborigines dieser Inselgruppe nördlich von Darwin kämpften sich sieben Jahre durch die Instanzen; sie forderten den exklusiven Besitz eines Gebiets, das wesentlich kleiner ist als die Torres Strait. Das Urteil im Oktober 2001 erkannte erstmals an, dass es indigene Seerechte gibt - aber grenzte sie stark ein. Die Aborigines dürfen ihre rituellen Stätten im Meer schützen, aber niemandem die Ausbeutung der Gewässer verwehren. Das sogenannte „Recht der Öffentlichkeit zu fischen" hat in Australien stets Vorrang.

 Gerichte in Kanada haben für indigene Fischer günstigere Urteile gefällt. Und in Neuseeland errangen die Maori sogar einen 23%-Anteil an den nationalen Fischerei-Quoten. Indigene Völker kämpfen in verschiedenen Ecken der Welt, auch in den USA, um Meeresressourcen. Wer allerdings allen anderen den Zugang zu einer Meereszone verwehren will, kommt mit internationalem Seerecht in Konflikt: Schiffen darf freie Durchfahrt, innocent passage, nicht verweigert werden. Die ambitionierte Klage der Torres-Strait-Bewohner berücksichtigt dies vorsichtshalber.

Das Meer gehört allen das war zunächst die Idee römischer Juristen und Philosophen: Weil die See sich ständig bewege und prinzipiell grenzenlos sei. Die Briten machten daraus später Recht. Das Gebot, die See mit allen zu teilen, hielt Portugiesen und Spanier indes nicht davon ab, mithilfe des Papstes die Weltmeere als koloniale Zonen unter sich aufzuteilen. Und jene drei Seemeilen, nach denen sich früher das Territorialgewässer eines Staates bemaß, waren die Reichweite eines Kanonenschusses vom Land aus.

Die Bewohner der Torres Strait oder der Croker-Inseln sehen die See mit anderen Augen. Vergleichbar jenen Traumpfaden, die nach den Schöpfungsmythologien der Aborigines das Festland durchziehen, hat auch die Seelandschaft Markierungen: die Reisen urzeitlicher Wesen, meistens Meerestiere. Im Croker-Islands-Prozess machten die Kläger den Schutz der Regenbogen-Schlange geltend:  Das Ahnenwesen auf dem Meeresboden werde gestört, wenn Weiße rituell unreine Dinge wie Knochen und Fleisch ins Meer würfen. Das Territorium der Ahnen zu schützen, ist ein unabweisbares Erbe; darum muß Fremden der Zugang verwehrt werden. Für einen Verstorbenen  werden bestimmte Lieder gesungen, die seine Seele über die Wasserterritorien anderer Klans sicher zum Heimatland seiner Ahnen geleiten.

Auf Mer erzählt Dall Passi, eine der wenigen Frauen unter den Seerechtsaktivisten, ihr Klan reklamiere den Besitz an einem Wind und dies sei Teil ihrer Identität. Sie bricht verlegen ab, als sie spürt, wie groß die Kluft des Nichtverstehens zwischen uns ist. Grabsteine zeigen jetzt wieder die Totems des Verstorbenen; bei Eddie Mabo sind es Taube und Hai.

Die Rückbesinnung auf vorchristliche Spiritualität begann vor etwa 15 Jahren. „Die Leute begreifen jetzt, dass ihre Missionierung zur kolonialen Unterwerfung gehörte", meint Ephraim Bani, ein schwarzer Linguist, der einzige Intellektuelle in den Torres Strait. „Die See", sagt Bani, „war für uns immer die Schöpferin des Lebens, die Quelle unserer Spiritualität. Erst der Weiße kam mit der kommerziellen Sicht. Und dann behauptete er, unsere Riffe gehörten uns nicht." Bani hat große Hoffnungen für die Zukunft: Seerechte, eine Renaissance indigener Kultur und politische Autonomie für die Strait-Region. Wie andere Ältere sieht er mit Sorge, wie sich die Sozialhilfe-Mentalität in die Communities hineingefressen hat, bei den Jüngeren jeden Anreiz zum Lernen und Arbeiten erstickt. „Wir sitzen in der Wohlfahrtsfalle, und wir müssen da `raus."

Australiens Regierung hat an den Strait-Inseln mehr Interesse als an jeder anderen Aborigine-Gemeinde. Denn über die versunkene Landbrücke drohen alle Übel Asiens und Neu-Guineas einzuwandern: Landwirtschaftliche Schädlinge, Drogen, illegale Einwanderer. Die Bewohner der Torres Strait sollen Augen und Ohren der Regierung sein, dafür bekommen sie Häuser und Straßen und den Wohlfahrtsscheck. Im Inselladen von Mer, am Ende der Welt, gibt es Himbeerblüten-Raumspray und Büchsensardinen aus Norwegen.

Auf Thursday Island, dem Verwaltungszentrum der Torres Strait, spürt man die Depression des Nichtstuns besonders. Thursday Island war einst der Mittelpunkt der Perlindustrie, hierhin zog es Taucher aus Madagaskar wie aus Okinawa, und Somerset Maugham schrieb auf der Veranda des Grand Hotel seine Stories bei einem Gin-Sling. Jetzt füttern gelangweilte junge Mütter die Spielautomaten mit Wohlfahrtsdollars, und abends im Pub halten sich betrunkene schwarze Dauergäste am Karaoke-Mikrofon fest, lallen zum Playback.

Der Kampf um Seerechte ist auch ein verzweifelter Versuch, verlorene Würde wieder zu finden.

Die Vorfahren der Männer in den Aluminium-Dinghies waren stolze Navigatoren, reisten weite Strecken im 15 Meter langen Einbaum, mit Doppelausleger und zwei Segeln aus Palmblattgeflecht. Sie lasen das Meer wie ein Buch, lasen in Strömungen, Winden, Fischvorkommen, Wassergeräuschen und Seevögel-Routen. Die Fischer von heute verzichten spöttisch auf GPS. Aber niemand lernt mehr die 80 Worte der Miriam-Sprache für die feinsten Unterschiede bei den Gezeiten.

Wenn es Nacht wird, dann drehen junge Rowdies die Motoren ihrer Dinghies auf, stellen den Suchscheinwerfer an und jagen Dugong. Der Dugong ist eine Seekuh, anderswo ausgestorben, 12 000 gibt es in der Torres Strait. Ureinwohner dürfen auf ihrem Territorium geschützte Tiere jagen,  ihrer Tradition folgend. Aber früher war es ein fairer, respektvoller Kampf. Lautlos schlich sich der Jäger an, denn der Dugong hört gut, und wenn das Tier floh, paddelte der Jäger mit, bis es müde wurde. Die Alten weinen, wenn sie hören, wie die Dugong heute sterben. Und es sterben zuviele.

Auf jeder Insel soll jetzt ein schwarzer Ranger eingesetzt werden. Es wird der beste Jäger sein. Ein Mann mit Autorität, nach der alten Art.