Wir haben unsere Seele verloren

Kamerun zählt zu den korruptesten Ländern der Welt.
Bericht aus einem Land, das langsam erstickt.

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Nun steht er da, der Mann mit dem Geldschein in der Hand. Er steht vor dem Polizisten mit dem roten Barett, der schickt ihn mit einer Kopfbewegung zu seinem Kollegen, der schickt ihn wieder zurück, und so läuft der Mann mit dem Geldschein hin und her, seine Haltung zunehmend devot.

Ein Bittsteller; er bittet darum, bestechen zu dürfen.

Dies ist ein Theaterstück, ein miserables Theaterstück; es wird jeden Tag hundertfach aufgeführt an Kameruns Straßen. Ausweiskontrolle! Ein Polizeiposten stoppt einen Minibus, gedrängt voll mit Passagieren, und irgendjemand hat gewiss seinen Ausweis nicht dabei. Ihm wird ein phantastisch hohes Bußgeld angedroht, wahlweise Verhaftung - der Polizei ein Scheinchen anzubieten, ist der einzige Ausweg. Die Straßensperren, die Ausweiskontrollen, sie dienen allein diesem Zweck, jeder weiß es, und doch wird das Theater zu Ende gespielt. Die Polizisten zieren sich, es wird verhandelt, gebettelt und noch ein bisschen gedroht; die übrigen Passagiere des Minibusses warten in respektvollem Abstand und mit erstaunlicher Geduld.

Als die Sache endlich ihr erwartbares Ende gefunden hat, der Geldschein in einer olivgrünen Hosentasche verschwunden ist und sich die Passagiere zurück in den Bus gestopft haben, da macht sich unter ihnen fröhliche Erleichterung breit. Als seien sie noch einmal glimpflich davon gekommen.

Manchmal wird ein Bus innerhalb einer Stunde dreimal, viermal von Polizeiposten gestoppt. Manchmal, wenn die Verhandlungen zu lange dauern, löst sich die stillschweigende Solidarität unter den Passagieren auf, einige wollen weiterfahren, sie beginnen mit dem Fahrer zu streiten, schließlich schreien sich alle an. Nur mit den Polizisten schreit niemand.

Die Korruption hat sich in Kamerun ihre Gebräuche, Sitten und Rituale geschaffen, sie prägt die Gefühle, die Psychologie des Landes. Was Außenstehende, Nicht-Initiierte als Theater empfinden, sind Regeln, Verhaltensregeln. Sie ordnen den Alltag, helfen beim Arrangement mit Scham und Beschämung. Denn die Kameruner  - 17 Millionen Menschen mit einem recht guten Bildungsniveau - sind sich des Zustands ihres Landes hellauf bewusst.

Auf dem jüngsten Korruptions-Barometer von Transparency International rangiert Kameruns Polizei ganz oben, als die Korrupteste ganz Afrikas; dieser Befund beruht auf der Wahrnehmung der Leidtragenden, er wird durch die Befragung der Bürger ermittelt. Und noch ein zweiter Wert hebt Kamerun heraus: Fast 80 Prozent seiner Bewohner räumen ein, sie hätten im Verlauf des Jahres eine Amtsperson bestochen. So viele bezichtigen sich in keinem anderen Land der Welt.

Korruption sei ein „Lebensstil" geworden: das Wort stammt von Kameruns Bischöfen, es steht in einem klagenden und mahnenden Hirtenbrief. Es ist schwer, sich das vorzustellen: ein Leben in einem Meer der Korruption. Und es ist noch schwerer, vom Meer wieder an ein Ufer zu kommen.  Von beidem handelt dieser Bericht.

Bei Madame und Monsieur Zubou liegen weiße Spitzendeckchen auf dem Sofa, ein Plüschtiger bewacht die Sitzgruppe, der Boden ist weich von Teppichen. Das Wohnzimmer einer Mittelschicht-Familie am Stadtrand von Yaounde, der Hauptstadt; dem Ehepaar gehört eine Papierwarenhandlung. Monsieur Zubou, ein kleiner dünner Mann mit scharfem Blick, pflegt seine Worte zu wägen. Ist die Mehrzahl der Kameruner eher Opfer der Korruption oder Täter? Er zögert. „Vermutlich beides", sagt er schließlich.

An größere Aufträge, vor allem aus den Ministerien, kommt seine Papierhandlung nur durch Bestechung. Vor kurzem stufte der Steuereintreiber den Laden willkürlich hinauf in die Kategorie mittelgroßer Unternehmen; um das wieder rückgängig zu machen, brauchte er eine „Motivation", so lautet das gängige Codewort. Im Krankenhaus: Kein Bett ohne Bestechung, klagt Madame Zubou, „nicht einmal im Notfall!" Neulich starb sein Vater, sagt Monsieur Zubou, „und selbst in der Leichenhalle musst du bestechen! Sonst werfen sie den Toten auf den Boden oder stehlen sein Hemd. Oder sie rücken die Leiche nicht heraus zur Beerdigung." Zwischen den Spitzendeckchen der Sitzgruppe entsteht das Bild einer Gesellschaft ohne Mitleid, einer Gesellschaft des Egoismus, der extremen Konkurrenz. Monsieur und Madame Zubou schweigen erschöpft.

Korruption, das ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Vorteil, so lautet die kürzeste Definition. In Kamerun ist daraus eine Krankheit geworden, die fast alle Glieder der Gesellschaft befallen hat. Aber Vorsicht: Korruption ist keine „afrikanische Krankheit", wie es früher oft hieß. Auch die deutsche Gesellschaft kennt mittlerweile ihre eigene Anfälligkeit. Gier und Käuflichkeit sind universale Übel, ohne Rasse. Doch es gibt afrikanische Ursachen für das Ausmaß der Korruption, und in Kamerun sind einige davon mit Händen zu greifen: Politisch der Mangel an Demokratie, an Rechenschaftspflicht. Und kulturell die Erosion traditioneller Werte, jeder angestammten Ethik. In Kamerun haben mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien gleich drei Kolonialmächte ihr Spur der Fremdbestimmung hinterlassen.

 „Wir sind ein Land, das erstickt und seit 25 Jahren auf kleiner Flamme stirbt", schreibt die Zeitung  Le Messager  in einem vergifteten Glückwunsch zum Geburtstag des Staatspräsidenten: Paul Biya, 75 Jahre alt, seit einem Vierteljahrhundert an der Macht. Ein kleiner, untersetzter Mann mit heiserer Stimme; er färbt sein Haar, und wenn er in den Spiegel blickt, hält er sich für Kameruns Zukunft. 2011, mit 78 Jahren, will er noch einmal kandidieren, deshalb drängt er schon jetzt auf eine Revision der Verfassung. Dass sie die Amtszeit begrenzt, ist ein Produkt bescheidener Demokratisierung, Biya abgerungen in den 90er Jahren. Alle hohen Kader müssen ihr Vermögen offen legen!, auch das steht in Kameruns reformierter Verfassung. Niemand hält sich daran, der Präsident selbst ist ein Vorbild der Vertuschung.

Über die Jahre hat sich Biya durch Bestechung, Repression und Wahlmanipulation ein schwer angreifbares Machtgerüst gezimmert. Obwohl unpopulär beim Volk kann sich der Präsident so sicher fühlen, dass er einen Großteil des Jahres im Genfer Hotel Intercontinental verbringt. Dort könne er besser arbeiten, sagt Biya.

Ein Land, das langsam erstickt, macht nicht viel Lärm. Kamerun gilt als Stabilitätsfaktor in der Region. Die USA haben sich in Yaounde gerade eine gewaltige neue Botschaft hingestellt, von der aus sie Zentralafrikas Ölvorkommen im Auge behalten. China baut an einem Sportpalast, ein Geschenk zur Pflege der Geschäfte. Und Frankreich hält seine Hand über den treuen Biya.

Der einfache Bürger aber, die Bürgerin ist gleich zweifach Opfer: im Untergeschoß der Korruption jedem kleinen Staatsdiener ausgeliefert, während sich im Obergeschoß  die höheren Chargen aus den Budgets der Nation bedienen.  

Die Gehälter im Staatsdienst sind zu niedrig; das begünstigt die Korruption, in Afrika nicht anders als in Kambodscha oder auf den Philippinen. In Kamerun sind die Staatsangestellten in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten regelrecht verarmt: Zunächst wurden ihre Bezüge auf Drängen des Internationalen Währungsfonds mehr als halbiert; danach verloren sie noch die Hälfte ihrer Kaufkraft durch die Abwertung des zentralafrikanischen CFA-Franc.  Seitdem fühlen sich viele Zöllner, Richter und Lehrer moralisch geradezu berechtigt, bei jedem greifbaren Mitbürger eine Entschädigung zu erpressen. Ein junger Taxifahrer beschreibt das Verhalten eines Polizisten so: „Wenn an meinen Papieren alles in Ordnung ist und auch an meinem Fahrzeug, dann schreit er mich an: ‚Und? Was soll ich jetzt essen?!' Dann gebe ich ihm Geld, denn wenn ich nichts gebe, wird er sich rächen und mir viel Unglück bereiten."       

Damit der Bürger möglichst viel   „Beschleunigungsgeld" zahlt, hat die Bürokratie kafkaeske Züge entwickelt. Die Bezahlung einer Rechnung einzuklagen, verlangt 58 Verwaltungsakte. Wem es gelingt, die „Motivation" abzuliefern, darf sich noch glücklich schätzen: Viele Beamte tauchen nur stundenweise am Arbeitsplatz auf.

In einer Patisserie in der Nähe der Universität diskutieren Studenten über „die Tarife". Jede der Fachhochschulen, die Zugang zu begehrten Karrieren verschaffen, hat einen „Tarif". Für die Verwaltungshochschule liegt er gegenwärtig bei 3,5 Millionen CFA-Franc, das sind 5335 Euro. Wer mit Erfolg an der schriftlichen Aufnahmeprüfung teilnehmen will, legt diese Summe in einen Umschlag, übergibt sie einem Mittelsmann. Angeblich bewerben sich 15 000 auf die 300 Plätze. Die Bestechungssumme können nur Familien im Obergeschoß der Korruption aufbringen, so rekrutiert das Regime seinen Nachwuchs aus den eigenen Kreisen. Und wer nicht bezahlt? Etwa zehn Prozent, vermuten die Studenten,  schafften es durch Leistung.

Larissa studiert Biologie; sie hatte ein Problem mit ihren Noten, sie fühlte sich zu schlecht eingestuft. „Als ich zu meinem Dozenten ging, sagte er: ‚Tja, du kannst ja mit mir schlafen.'" Sie tat es nicht. Auch die resolute Gertrude, die im Hotelfach gelernt hat, schläft nicht mit denen, die Jobs zu vergeben haben -  darum hat sie keinen. Verweigerung ist möglich, doch sie hat ihren Preis.

Kameruns Jugend wächst auf in einer Welt, in der jeder Wert relativ ist und jede Spielregel ausgetrickst werden kann. Schon die Kleinsten lernen, dass die Zuwendung des Lehrers erkauft werden muss. „Wenn ich dem Lehrer nichts gebe, korrigiert er die Hefte nicht", sagt Jean Nze, Vater von vier Kindern, verzweifelt. „Er schaut mein Kind nicht einmal an in der Klasse!" Monsieur Nze, ein glühender Christ, hält seine Familie mit einem kleinen Restaurant und mit dem Verkauf von Bibeln über Wasser. Er begehrt innerlich auf gegen die Kultur der Bestechung und kann sich ihr doch nicht entziehen. „Wir Afrikaner, wir hatten doch eine Kultur des Teilens, eine solidarische Kultur. Heute klammert sich jeder an das Eigene, es gibt keinen Zusammenhalt mehr."

Von einer Neubesinnung auf traditionelle Werte, von der Wiederherstellung eines ethischen Gerüsts sprechen all jene in Kamerun, die rebellieren gegen den Zustand ihres Landes. Sie sind eine Minderheit. Und selbst ihnen scheint es eine fast unbewältigbare Aufgabe, gegen die Macht der Korruption zu kämpfen, wo doch alle Macht im Staat auf Korruption beruht.                                  

Viele Kameruner erwecken den Eindruck, als betrachteten sie ihr Land durch eine Milchglasscheibe aus Fatalismus und Gleichgültigkeit.  Zugleich ist die Klage über Korruption Popkultur. In einem Privatradio rappt ein Komiker: „Die Polizei ist katakata, ihr Verhalten ist hässlich, katakata!" Die Zuhörer grinsen und wippen im Takt. „Minister, Direktoren, schickt sie alle nach Kondengui!" singt der Musiker Lapiro de Mbanga. Kondengui ist Kameruns bekanntestes Gefängnis.

Vielleicht es das Merkmal eines erstickenden Landes, dass der Atem fehlt für die große Wut. An den Straßenecken, wo  die Zeitungen des Tages aushängen, kann man jeden Morgen erleben, wie die Wut hoch züngelt und wieder erlischt. Jeden Tag neue Bereicherungs-Skandale in den Schlagzeilen, riesige Summen, in zentralafrikanischen Franc immer gleich Millionen, Milliarden. Die Passanten starren darauf, jemand knurrt: „In Wirklichkeit sind die Zahlen viel höher", alle nicken grimmig, und dann wenden sie sich um, und ihr Alltag verschlingt sie, der tägliche Überlebenskampf im Untergeschoß der Korruption.

Kameruns Regierung leugnet, anders als vor einigen Jahren, das Ausmaß der Korruption nicht mehr. Nach den offiziellen Schätzungen summiert sich der Verlust auf bis zu 50 Prozent der öffentlichen Einnahmen. Für den Zeitraum 1997 bis 2004  wird er auf drei Milliarden Euro beziffert, vermutlich nur eine Teilsumme, doch schon damit hätte das Land 10 000 Schulen bauen können.

Nur selten reißt für einen Moment der Vorhang auf, hinter dem sich die großen Täter verbergen. Gestatten: Gerard Ondo Ndong, Generaldirektor eines Fonds für Gemeinderäte, für jene Kommunen also, die sehnsüchtig darauf warten, ein Stück Straße asphaltieren zu können. Ondo Ndong und seine Komplizen schafften allein 10 Millionen Euro auf die Seite, indem sie Dienstreisen fingierten, bei denen den Gemeinderäten angeblich erklärt wurde, wie sie Gelder beantragen können! Der Manager wurde 2007 zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt. Das klingt spektakulär, doch das Urteil hat in der Täter-Kaste erstaunlich wenig Verunsicherung ausgelöst. War Ondo Ndong nur ein Bauernopfer, um die internationale Öffentlichkeit zu beeindrucken?

Kamerun zählt zu jenen hochverschuldeten Ländern, denen die Schulden erlassen werden unter der Bedingung, dass die Regierung sich zur Armutsbekämpfung und zu Good Governance verpflichtet. Das schafft einen gewissen Druck von außen. Tatsächlich hat der Premierminister Ephraim Inoni, als er vor drei Jahren sein Amt antrat, Überraschungsbesuche in Behörden gemacht, Verdächtige stehenden Fußes entlassen,  Luxuslimousinen beschlagnahmt. Mit diesem Tatendrang hat er sich rasch isoliert zwischen einem gleichgültigen Präsidenten und einer Kabinettsriege von 43 gierigen Ministern.

In anderen Staaten Afrikas haben die Regierungen tatsächlich den Kampf gegen die Korruption aufgenommen. Nigeria, Kameruns großer Nachbar, hat in einem Akt bemerkenswerter Symbolik neulich sogar die Aufträge mit Siemens eingefroren, wegen dessen Schmiergeldpraxis. Kameruns Regierung hingegen geht gegen die größte Plage des Landes nur taktisch vor, ohne jegliche Leidenschaft. Es wird ein wenig Anti-Korruptions-Zierrat ins Schaufenster gelegt, doch die Regale dahinter sind leer.

Zwei Jahre, nachdem die „Nationale Kommission gegen Korruption" per Dekret geschaffen wurde, ist sie für den Bürger immer noch unauffindbar: kein Büro, kein Türschild, keine Telefonnumer.  Paul Tessa, ihr Präsident, residiert zwischen Obstbäumchen aus Plastik in einer Staatsdruckerei. Der Mann, der die hohen Kader jagen soll, trägt wie sie am Revers die rote Ehrennadel des verdienten Beamten. 43 Jahre war Tessa im Staatsdienst, leitete sogar das Präsidentenamt. Nun sitzt er unter einem Bild seines alten Freundes Biya und sagt treuherzig: „Wir sind unabhängig." Mit der Arbeit hat seine Kommission noch nicht begonnen, nichts scheint hier Eile zu haben. Und wo sind die gestohlenen Milliarden, Monsieur Tessa? Er schaut überrascht, als habe er sich die Frage noch nie gestellt.  „Ich denke, im Ausland?" sagt er zögernd.

Die Leidenschaft, sie wohnt anderswo. Sie wohnt dort, wo junge Kameruner beginnen, den Kampf gegen die Korruption von unten zu organisieren - und nur dies, der Druck von unten, wird irgendwann die Plage aus dem Land vertreiben können. Binla Sylvanus ist ein junger, zur Fülle neigender Jurist, spezialisiert auf öffentliches Recht -  besser gesagt: auf das öffentlichkeitsscheue Unrecht. Er hat sein Büro bei der Nationalen Bischofskonferenz, auf dem Schreibtisch leuchtet eine rote Bibel im Papierwust. „Religion dient dazu, den Menschen zu befreien", sagt Sylvanus, „auch von schlechter politischer Führung. Eine einzelne Person kann bei uns nicht wagen, die Regierung anzuklagen. Aber die Kirche kann das."

Sylvanus koordiniert Dynamique Citoyenne, wörtlich Bürgerdynamik, ein Netz von 200 Gruppen der Zivilgesellschaft, vom  Islamischen Kulturbund bis zur Landjugend. Sie machen etwas ganz Neues, nämlich Basis-Recherche gegen Korruption, im Fachjargon Independent Monitoring.  Sylvanus erklärt das so: „Auf dem Papier wurden Klassenräume gebaut; wir gehen hin und gucken, ob sie da sind." Oft sind sie nicht da. Auch die Schulbänke nicht und die neuen Toiletten. Das Geld verschwindet im Sumpf zwischen Erziehungsministerium und Baufirmen. Manchmal sind die Schulleiter Komplizen.

Unterstützt von Entwicklungshilfe, auch deutscher, haben 13 Teams von Dynamique Citoyenne 156 Schulen überprüft und im Detail den organisierten Diebstahl dokumentiert, mit den Namen der Firmen. Hervorragendes Material für einen Staatsanwalt  - aber nichts regt sich. Die Regierung, das Erziehungsministerium schweigt. Ein Journalist, der Einzelheiten des Berichts veröffentlichte, wurde verhaftet und verhört, zur Einschüchterung. Der großen Korruption Name und Anschrift geben, das ist riskant, sagt Sylvanus. „Wenn uns ein Fehler unterläuft, dann landen wir alle wegen Verleumdung im Gefängnis."

An der Wand hängt ein Plakat mit seiner Vision, mit der Vision eines neuen Kamerun. Ein Polizist nähert sich mit Handschellen einem Schreibtischtäter. Der bittet um Aufschub, der Polizist sagt: Ihre Zeit ist um. -

RAUBBAU IM WALD Es ist Trockenzeit, die Luft färbt sich fahlgelb, schwer von Staub. Die Straße, die von der Hauptstadt Yaounde nach Süden führt, Richtung Gabun, ist zu einer roten, sandigen Piste geworden, auf beiden Seiten umschlossen von tropischem Wald. Eine Staubwolke donnert mit beängstigender Geschwindigkeit auf unseren Bus zu.  Erst im letzten Augenblick gibt sich darin ein Sattelschlepper zu erkennen, beladen mit gewaltigen Stämmen.

Kameruns grüner Reichtum. Zwei Drittel des Landes sind bewaldet, primärer und sekundärer Regenwald über hunderte Kilometer. Doch der Reichtum, er wird verschleudert, die Tropenriesen fallen, und das Volk hat nichts davon. Im Regenwald zeigt die Korruption ihr hässlichstes Gesicht, die Fratze des Raubbaus an der Natur.                            

Wer Abholzen will, braucht eine Genehmigung, so sieht es ein Gesetz vor, das den Wald schützen soll. Aber viele Beamte des Forstministeriums vergeben Lizenzen gegen Bestechung. Ein Direktor des Ministeriums hat gerade in einem anonymen Schreiben enthüllt, dass auch hier alles „Tarife" hat, wie im Bildungssystem. Nur sind die Kameruner dabei nicht unter sich; die größten Abholzer, das sind Firmen aus Frankreich, Belgien, Italien, aus der Schweiz, zunehmend auch aus China. Jeder, der im Holzgeschäft tätig ist, besticht, muss bestechen - und zwar für legales wie für illegales Holz. Der Wert des illegal Geschlagenen wird von der britischen Organisation Global Witness auf 300 Millionen Euro jährlich geschätzt. Meistens geht die Fracht nach Europa.

Am Busfenster huscht manchmal ein Schild vorbei mit der Aufschrift „Kampf gegen Armut und Korruption". Dies ist die Heimatregion des Präsidenten Biya, seine Partei stellt solche Schilder in den Dörfern zur Eigenwerbung auf - als riefe der Dieb: Haltet den Dieb! Vor ein paar Tagen hat ein Reporter der  Zeitung Le Front  erfahren, was es bedeutet, in der Region des Präsidenten nach den Adressen der Korruption zu forschen. Le Front macht es sich zur Aufgabe, vor Ort nach Beweisen illegitimen Vermögens zu suchen, in diesem Fall nach einer luxuriösen Villa des Ex-Finanzministers Polycarpe Abah Abah. Jeder Kameruner kennt diesen Namen: Abah Abah, Synonym für Bereicherung, ein Mann mit randloser Brille und harten Zügen; im Volksmund  ein „Bandit".

Kaum hatte sich der Journalist, begleitet nur von einem Praktikanten, dem vermuteten Anwesen im Wald genähert, da fiel eine Knüppelgarde über ihn her, drohte, ihn zu lynchen. Was dann geschah, hat der Kollege in seinem Blatt auf einer ganzen Seite detailliert geschildert: Er wurde von Sicherheitskräften verschleppt, sie transportierten ihn 72 Stunden lang von einer Gendarmeriestation zur nächsten, in Handschellen, mit verbundenen Augen, ohne Kontakt zur Außenwelt. Der Maltraitierte heißt  Jean-Bosco Talla,  wir wollen seinen Namen nennen, denn er braucht wie andere tapfere Journalisten Kameruns den Schutz internationaler Aufmerksamkeit. Abah Abah, der Bandit, hat den Reporter verklagt: wegen versuchten Diebstahls.

Ankunft im Zentrum der Waldregion: Djoum, ein Holzfällerstädtchen - jede Menge Männer, jede Menge Bier. In der Ortsmitte fällt eine Bau-Ruine auf, das sollte das neue Rathaus werden, dann steckte der Bürgermeister den Rest des Geldes lieber in die eigene Tasche. Der Mann wurde nicht wiedergewählt, immerhin - aber das ist auch alles: Die örtliche Justiz rührt den Politiker nicht an. Natürlich gehört er zur Partei Paul Biyas, zur Clique des Präsidenten.

So also sind die Verhältnisse, unter denen ein einzigartiger Rechtsfall entstand, einmalig in ganz Afrika: Die Klage von sieben Dorfbewohnern gegen eine französische Firma, vor der französischen Justiz. Wegen illegaler Ausbeutung des Waldes, wegen Fälschung und Korruption. Ein schlichtes Häuschen an der roten Piste; im Wohnzimmer von Jules Nnanna steht wenig mehr als ein Fernseher, davor eine Schar Kinder im Bann einer Horrorspinne. In der Erzählung des Vaters ist das bedrohliche Netz von anderer Art. Seit neun Jahren kämpft er um eine Entschädigung; vor neun Jahren zerstörte das Holzunternehmen Rougier seine Kakaopflanzen, schlug eine illegale Trasse über die Felder von Nnanna und sechs weiteren Bauern.

Ein mächtiger Gegner. Der Eingang zum Firmengelände ist nur einen kurzen Mopedritt von Nnannas Haus entfernt. Rougier, das ist in Südkamerun der größte private Abholzer. Die Firma (unter dem Filialnamen SFID) agiert wie ein Staat im Staate, hat sich die korrupte Verwaltung gefügig gemacht durch ein Netzwerk von Vergünstigungen, die oft nicht einmal verborgen werden. Die örtlichen Beamten bekommen freies Benzin, Rougier wartet ihre Autos. Insider sagen, Rougier verfahre nach dem Motto: Wir bezahlen euch dafür, dass ihr uns kontrolliert. Selbst die Experten für Arbeitssicherheit, die auf die Baustellen kommen, würden bestochen, sagt ein Waldarbeiter.

„Alle nehmen Geld", sagt Jules Nnanna, der Kläger, „der Präfekt, der Unterpräfekt, der Polizeikommissar. Nur wir kleinen Dorfleute, wir müssen uns anlegen mit dieser Firma." Er bezahlte einen Gutachter damals, er nennt ihn „einen Gutachter der Firma"; der Wert der zerstörten Pflanzungen, nahezu Nnannas gesamter Besitz, wurde auf 550 Euro geschätzt. Die sieben Geschädigten riefen ein kamerunsches Gericht an; es entschied zugunsten von Rougier, ohne die Bauern anzuhören. Dann klagten sie  - mit Hilfe der Organisation Les Amis de la Terre -  vor der französischen Justiz. Die erklärte sich 2004 für unzuständig: Die Afrikaner hätten nicht bewiesen, dass ihnen daheim der Rechtsweg verschlossen sei. Nun liegt das Begehren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. „Ich hoffe immer noch, dass Europa uns zu unserem Recht verhilft", sagt Nnanna. Er ist ein freundlicher, ein wenig unbedarft wirkender Mann. Über dem Fernseher, in dem noch immer der Film mit der Horrorspinne läuft, hängt ein zerfleddertes Plakat, es zeigt Paul Biya und einen Löwen. Mon président, steht darauf. Biya wisse nicht von all dem Bösen, das in seinem Land geschehe, glaubt Nnanna.

Eine kleine Geschichte aus Südkamerun; ist es ein Zufall, dass sie 1999 begann? In jenem Jahr trat eine Konvention der OECD-Staaten in Kraft; seitdem ist für europäische Geschäftsleute auch Korruption im Ausland eine Straftat. Auf internationalen Konferenzen heißt es nun, die Moral habe sich gebessert, Bestechung in den Ländern des Südens sei kein Kavaliersdelikt mehr. Die Wahrheit aber, sie ist nicht in den Konferenzsälen zu finden, sondern auf den roten Pisten und in den Staubwolken der Sattelschlepper. Vielleicht finden wir ein Quentchen Wahrheit auch bei uns selbst, den europäischen Konsumenten: Unsere Gier nach billigen Tropenholzmöbeln hält das Rad der Korruption im Regenwald in Schwung.

Rougier habe sich einer nachhaltigen Fortwirtschaft verpflichtet; dies schreibt uns die Firma als Antwort auf die Frage, warum die sieben Kakaopflanzer nie einen Cent Entschädigung bekamen. Die Post kommt von den Champs Elysées;  Rougier, das ist Wirtschaftskultur aus dem Herzen Europas. Einst ein Hersteller von Camembert-Schachteln; heute kontrolliert Rougier in Kamerun Abholz-Konzessionen für eine halbe Million Hektar, in ganz Zentralafrika sind es zwei Millionen Hektar. Voilà, das ist Françafrique.

Die letzte Episode aus dem Süden Kameruns handelt von einem Feldwebel und seiner verlorenen Ehre. Der Feldwebel ist mit seinem Fahrer auf dem Rückweg von einer Mission, in seinem dunkelgrauen Landcruiser ist noch reichlich Platz, und so macht der Offizier ein kleines Geschäft, verkauft die Plätze in seinem militärischen Dienstwagen an Passagiere, mit Kind und Kegel und Körben, für die sechsstündige Rückfahrt in die Hauptstadt. Wir gehören zu denen, die sich in den Wagen stopfen lassen, das Fahrgeld haben wir bei einem Mittelsmann bezahlt, dann werden wir zu einer abgelegenen Kreuzung beordert, um hinreichend clandestin auf den Wagen zu warten. Kaum sind alle eingestiegen, werden wir schon wieder zum Aussteigen genötigt: Unser Feldwebel fährt zum Tanken auf das Firmengelände von Rougier. Seine Fahrgäste müssen vor dem Schlagbaum an der roten Piste warten; als unser Mann nach einer Stunde wiederkommt, ist er bester Laune und schwenkt ein Tetrapak-Tütchen Whisky.

Der Feldwebel geniert sich nicht; er weiß, dass er eine Journalistin im Auto hat, er klopft ihr auf die Schulter, verspricht eine sichere Fahrt. Dann rauschen wir, samt Kind, Kegel, Körben und Bananen, mit VIP-Geschwindigkeit und blinkendem Warnlicht über die rote Piste. Es wird Nacht, der Feldwebel braucht neue Fahrgäste, nun ist kein Mittelsmann mehr da, also sucht er selbst an Dorfrändern nach späten Passagieren. Jemand steigt ein, er drückt dem Offizier ein Scheinchen in die Hand, ohne ihn anzusehen.  -

DER GEGENSPIELER  « Die Korruption könnte von einem auf den anderen Tag aufhören! Mit einer radikalen, neuen Politik von oben."  Adamou Ndam Njoya war zweimal oppositioneller Präsidentschaftskandidat ; der 65jährige ist bekannt für sein Konzept einer rigorosen, an Leistung orientierten Ethik. Im persönlichen Gespräch wirkt er sanft und unprätentiös ; in seinem Wohnzimmer, zwischen moderner afrikanischer Kunst und gewebten Kalligrafien, macht man die erholsame  Erfahrung  mit einem kultivierten, anderen Kamerun.

Ndam Njoya ist ein muslimischer Prinz, gelernter Diplomat und Jurist, ein Schriftsteller und Imam; er hat für die Unesco gearbeitet und mit Bischof Tutu. Im demokratischen Aufstand 1990/91, als sich Kamerun gegen Paul Biyas Einparteienherrschaft erhob, stand er in der ersten Reihe, verhandelte mit ihm dann die Reform der Verfassung. Später gründete Ndam Njoya eine eigene Partei, mit ihr regiert er nun seine Heimatstadt Foumban.

Zur Legende wurde er indes viel früher, als Erziehungsminister, vor 30 Jahren. Wohlhabende Familien fanden es schon damals selbstverständlich, ihren Kindern gute Noten zu kaufen. Ndam Njoya stellte sich quer ; als in einem Jahr  die Prüfung zur Mittleren Reife so schwer war, dass viele Sprößlinge der Elite durchfielen, auch ein Sohn des  Präsidenten, setzte ihn der gesamte politische Apparat unter Druck, die Prüfung wiederholen zu lassen. Ndam Njoya weigerte sich ; er wurde des Postens enthoben. Wer zu seiner Zeit ein Diplom erwarb, nennt es stolz ein « Ndam-Njoya-Diplom », um zu unterstreichen : Ha, es war nicht gekauft wie die Diplome heutzutage.

Der Name Njoya weckt bei Kamerunern aber noch ganz andere Erinnerungen. König Njoya war eine bedeutende Persönlichkeit ihrer Geschichte, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Ein Mann ohne Minderwertigskomplex gegenüber den Europäern und ihren Errungenschaften. Er kreierte eine eigene Schrift, gründete Schulen, verfaßte gar eine Synthese aus Bibel und Koran. Mit den deutschen Eindringlingen konnte er sich noch arrangieren, die Franzosen entthronten ihn dann 1924. Warum wir das erzählen? Weil das Sultanat Foumban, der Schauplatz dieser Geschichte, auch heute ein Experimentierfeld ist, vielleicht wieder ein Labor für etwas Neues.  Hier regiert die Opposition, die Partei von Ndam Njoya.

Es ist Freitagmittag, die Stunde eines wöchentlichen Rituals: Der Sultan von Foumban, ein  großer Mann mit gewaltigem Bauch, geht von seinem Palast zur Moschee, wie ein einfacher Gläubiger. Seine Paladine tragen die Wedel aus Vogelfedern, mit denen sie ihm später Luft zufächeln werden, verborgen unter ihren Gewändern, die Leibgarde hält die Waffen gesenkt, die Trompeten schweigen. Eine Stunde später kehrt er als König zurück, mit einer jubelnden Garde und preschenden Reitern. Markfrauen stoßen Freudentriller aus, und die Notabeln, die dem König ihre Aufmachung machen, verneigen sich und berühren mit einer kurzen eleganten Bewegung den Boden.

Doch das Bild traditioneller Harmonie ist eine Täuschung. Die trillernden Markfrauen sind an einer Hand zu zählen, das Volk macht sich rar; der Sultan ist unbeliebt, er ist ein hoher Kader der Regimepartei,  war mehrfach Minister.

Fünf Gehminuten vom Sultanspalast entfernt hält zur selben Zeit Adamou Ndam Njoya eine Versammlung ab, in einer schlichten Halle mit Wellblechdach. Auch hier wurde zuerst gebetet, dann berichtet der Bürgermeister von seinen Gesprächen in der Hauptstadt. Vor ihm stehen und sitzen dicht gedrängt ein paar hundert Leute, sie lauschen konzentriert, in ihren Gesichtern spiegelt sich großer Ernst. Ein Politiker legt der Basis Rechenschaft ab über sein Tun, wo gibt es das schon in Kamerun?

1996, bei den ersten kommunalen Wahlen, schlug Ndam Njoya den  Sultan im Kampf um den Posten des Bürgermeisters - ein unerhörter Vorgang. Zum ersten Mal in der Geschichte Foumbans distanzierte sich das Volk von seinem traditionellen Herrscher, einer Art Vaterfigur. Dass Ndam Njoya selbst ein Prinz ist, also ein Verwandter des Sultans, machte die Sache nicht leichter. Im vergangenen Jahr gewann er erneut gegen einen Kader der Regime-Partei, diesmal gegen einen stellvertretenden Finanzminister. Der Wahlsieg brach für einen Moment die magische Allmacht der Korruption: Die Staatspartei hatte viel Geld verteilt, aber die Foumbaner liessen sich nicht kaufen.

Nun bezahlen sie mit dem Zustand ihrer Straßen für ihr politisches Votum; die Zentralverwaltung blockiert die Entwicklung der Gemeinde, wo sie nur kann. Junge Leute von hier haben es schwer, in den Staatsdienst zu gelangen - die Foumbaner gelten als unzuverlässig, sie sind nicht mehr Fleisch vom Fleisch des korrupten Systems.

In seiner Partei, der Union Démocratique du Cameroun, wird Ndam Njoya verehrt und zitiert wie ein Guru. Die Sitzung einer Bezirksgruppe verläuft ganz nach seinen Prinzipien, straff, diszipliniert und interreligiös. Zu Beginn die Nationalhymne, dann betet ein Christ, am Ende später ein Muslim. Wer etwas zu sagen hat, steht auf. Aicha Jiha Tankua, eine in leuchtendes Rot gekleidete junge Gemeinderätin, beschwört mit Verve die « neue Ethik » des Vorsitzenden : « Wir wollen nicht mehr korrupt sein. Wir wollen an unserer Leistung, an unserer Arbeit gemessen werden. Um nicht korrupt zu sein, muss man seine Rechte kennen, seine politischen Rechte wahrnehmen. »

Weil Ndam Njoya die Verantwortung des Individuums so betont, halten ihn manche Kritiker für zu europäisch. Doch für ihn bedeutet das Schlüsselwort « responsabiliser », Verantwortungsbewusstsein wecken, auch den Versuch, verschüttete afrikanische Tugenden wiederzubeleben. « Wir brauchen Respekt für Gemeineigentum », sagt er. »Früher brachte jeder einen Stein, wenn ein Brunnen gebaut wurde. Diese Kultur haben wir verloren, und das ist ein Teil unserer ganzen kulturellen Entwurzelung. Wir haben unsere Seele verloren. » Und dann sagt er noch einen Satz, den man nur vor dem Hintergrund der kolonialen Erfahrung verstehen kann: « Die Menschen müssen heute anfangen zu begreifen, dass sie nicht Fremde sind bei sich selbst. » -

DIE WUT DER JUNGEN Die Explosion  kündigte sich beiläufig an, mit kleinen Meldungen über einen bevorstehenden Streik der Taxifahrer in Douala. Douala ist Kameruns Wirtschaftsmetropole nahe des Atlantiks, zugleich eine Metropole der Unzufriedenheit. Heerscharen gut ausgebildeter junger Leute ohne Job; viele fahren ein Mopedtaxi -  42 000  Mopedtaxi-Fahrer, eine Armee der Frustrierten.

Der Streik, eigentlich gegen die hohen Benzinpreise gerichtet, wird binnen Stunden zu einem Aufruhr in allen größeren Städten, legt die Infrastruktur des ganzes Landes lahm. Der soziale Protest mischt sich diffus mit politischer Opposition, gegen die Verfassungsänderung, mit der Biya seine Amtszeit verlängern will. Die Wut der jungen Generation, sonst im Fatalismus erstickt, nun lodert sie auf ; Straßenblockaden brennen, Tankstellen und Amtsgebäude gehen in Flammen auf, Plünderungen folgen. Das Militär rückt aus. Kamerun hält den Atem an - und zeigt plötzlich ein anderes Gesicht: Wie weggewischt die  Indifferenz ; überall wird politisch diskutiert, und so sehr alle unter dem Streik leiden, aus der Bevölkerung wendet sich kaum jemand gegen ihn.

Wo ist Biya ? Wie üblich außer Landes? Niemand weiß es. Die revoltierenden Jungen verlangen, dass der Präsident sie hört, dass er zu ihnen spricht. Als der dritte Tag des Aufruhrs zu Ende geht, spricht Biya endlich, wie aus dem Off. Ganz Kamerun sitzt vor dem Fernseher. Der heisere alte Mann redet nur fünf Minuten, er beleidigt die Jugendlichen, bezeichnet  sie als Banden, Delinquenten, Lehrlinge der Hexerei. Und dann sagt er noch einen ganz unglaublichen Satz : « Kamerun ist ein Rechtsstaat und wird es bleiben."

Minuten nach der Rede brennen wieder die Barrikaden,  kurz darauf liegen junge Tote auf der Straße, das Militär schießt jetzt scharf. Nachts hämmert der Regen auf die Dächer, die Regenzeit beginnt verfrüht, als könne selbst der Himmel vor Wut nicht an sich halten. « Der Vater » : Obwohl Biya unbeliebt ist, wird er in Kamerun so genannt, « le père ». Aber er hat nicht wie ein Vater gesprochen, viele fühlen sich allein gelassen,  verraten. Das Wort Kriegserklärung geht von Mund zu Mund: Biya hat seiner eigenen Nation den Krieg erklärt. Demonstranten schreiben den Satz auf einen Kartonfetzen und halten ihn hoch.

Die Jungen haben keine Führung, keinen Plan, keinen Sprecher. Die Transport-Gewerkschaften haben den Streik längst für beendet erklärt -  weil sie bestochen wurden !, sagen die Jungen. Sie trauen niemandem, sie trauen auch den Medien nicht. Sie sind das Produkt einer Gesellschaft, in der alle Spielregeln käuflich sind. 

Es gibt nur einen Mann, dem die Jungen zumindest zuhören: Mboua Massok, einem Veteranen der Rebellion. Der 53jährige gilt als Erfinder der Villes Mortes, der „toten Städte". Das war die Kampfform im demokratischen Aufbruch 1990/91; neun Monate lang erstarrte Kamerun immer wieder im Generalstreik, im  passiven Widerstand. Damals waren es kalkulierte Aktionen, um das Biya-Regime zum Dialog zu zwingen. Heute ist Massok erschrocken über die ungerichtete Gewalt der Frustration.

Er empfängt im Gärtchen seines Hauses, das er « Pavillon der nationalen Pflicht » nennt. Sich für die Demokratie zu schlagen, sagt er, sei die Pflicht eines Patrioten ; dafür nahm er viele Verhaftungen in Kauf. Massok ist ein kamerunischer Bürgerschreck, ein Agitator, ein radikaler Panafrikanist, der sich mit einer Neigung zum Pathos am Telefon stets mit « Le combattant », meldet : der Kämpfer. 

Aber der Mann mit der Kette aus Palmkernen um den Hals hat etwas Echtes, Unverstelltes ; man spürt seine innere Kraft, seine Leidenschaft. Und er spricht schnörkellos und furchtlos wie sonst kaum ein Oppositioneller. „Biya ist das Zentrum der Korruption. Er stiehlt unserer Jugend das Geld, um es in Schweizer Hotels auszugeben. Biya muss zurücktreten, sofort. Wir dürfen einen Mann nicht an der Macht lassen, der den Aufruhr provoziert." Massok fürchtet, die Wut über Betrug und Korruption könne sich im Kamerun der vielen Ethnien als Gewalt zwischen den Volksgruppen entladen, ähnlich wie in Kenia. In einem Aufruf appelliert er, « brüderlich » für den Sturz des Regimes zu kämpfen : Eine winzige Minderheit, zusammengesetzt aus allen Ethnien, eignet sich mehr als 95 Prozent unseres Reichtums an. Es gibt nur zwei Stämme in Kamerun, den Stamm der Reichen und die verarmten Massen."

Der Rebell trägt am linken Arm ein rotes Stoffband, das Signal der Dissidenz,  es soll zum Massensignal der Bewegung gegen Paul Biya werden. « Bald  werden es alle hier tragen », sagt Massok, in seiner Stimme bebt die Zuversicht des Kämpfers.

Die Revolte der Jungen verebbte am nächsten Tag, sie wurden wieder von ihrem Alltag verschlungen. Biya, der schlechte Vater, warf dem Volk später ein paar Zugeständnisse hin : Reis und Weizen werden billiger, zwei korrupte Minister wurden verhaftet.

Aus den Tagen des Aufruhrs aber bleibt ein Bild haften, eine Erinnerung. Die Wut, mit der die Jungen die Bretterkioske der Lotterie zertrümmerten. Die Lotterie, das ist  französisch-kamerunisches Kapital. Die Bretterbuden, sie wurden ein Symbol des Betrugs. Des Betrugs an allem, vor allem an den Träumen.

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Infos zum Land:

In Kamerun spiegelt sich Afrikas ganze Vielfalt: ein Land zwischen äquatorialem Regelwald und Sahelzone, dessen Bevölkerung nur aus ethnischen Minderheiten besteht, 200 an der Zahl, mit ebenso vielen Sprachen. Kamerun war zunächst eine deutsche Kolonie, wurde dann zwischen Franzosen und Briten aufgeteilt. Diese Teilung hat bis heute  zwei Schul- und Amtssprachen hinterlassen: von den 17 Millionen Einwohnern sind 80 Prozent frankophon, 20 Prozent anglophon; letztere fühlen sich politisch diskriminiert. Eine demokratische Bewegung erzwang 1991 die Zulassung von Parteien im vorher autoritären Einparteien-Staat, doch blieb die Demokratie bloße Fassade. Gesegnet mit Rohstoffen, auch mit Öl, könnte Kamerun unter besserer Führung Zentralafrikas Wirtschaftslokomotive sein.